Auf dein Wort hin... - Gedanken zum 5. Sonntag nach Trinitatis von Gem.-Ref. Annette Gerstner

Es begab sich aber, als sich die Menge zu Jesus drängte, zu hören das Wort Gottes, da stand er am See Genezareth. Und er sah zwei Boote am Ufer liegen; die Fischer aber waren ausgestiegen und wuschen ihre Netze. Da stieg er in eines der Boote, das Simon gehörte, und bat ihn, ein wenig vom Land wegzufahren. Und er setzte sich und lehrte die Menge vom Boot aus. Und als er aufgehört hatte zu reden, sprach er zu Simon: Fahre hinaus, wo es tief ist, und werft eure Netze zum Fang aus! Und Simon antwortete und sprach: Meister, wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen; aber auf dein Wort hin ... ... will ich die Netze auswerfen. Und als sie das taten, fingen sie eine große Menge Fische und ihre Netze begannen zu reißen. Und sie winkten ihren Gefährten, die im andern Boot waren, sie sollten kommen und ihnen ziehen helfen. Und sie kamen und füllten beide Boote voll, sodass sie fast sanken. Da Simon Petrus das sah, fiel er Jesus zu Füßen und sprach: Herr, geh weg von mir! Ich bin ein sündiger Mensch. Denn ein Schrecken hatte ihn erfasst und alle, die mit ihm waren, über diesen Fang, den sie miteinander getan hatten, ebenso auch Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, Simons Gefährten. Und Jesus sprach zu Simon: Fürchte dich nicht! Von nun an wirst du Menschen fangen. Und sie brachten die Boote ans Land und verließen alles und folgten Jesus nach. (Lukas 5,1-11)

Lieber Leser, liebe Leserin!

In diesem biblischen Bericht hören wir, dass eine große Menschenmenge zu Jesus hindrängte. Er war so umlagert von unzähligen Fans, dass er sich kaum retten konnte. Und warum? Die Menschen wollten das Wort Gottes hören! Sie spürten intuitiv: Dieser redet mit Vollmacht, nicht wie unsere Schriftgelehrten. Dieser Jesus hat wirklich etwas zu sagen.

Authentische Worte, Worte der Liebe, Worte der Wahrheit und Klarheit, Worte, die zu Herzen gehen, weil sie aus dem Herzen Gottes kommen.

Für uns als Kirche, für mich als Verkünderin des Evangeliums heißt das: Wir müssen die Botschaft von Jesus nicht attraktiv machen, sie ist es! Heute wie damals. Unsere Aufgabe ist es, sie möglichst unverfälscht zum Klingen zu bringen. Wenn wir sie vor lauter Anpassung an unsere Zeit beschneiden, wird sie fad und lätschig und mehlig. Ich persönlich hasse solche Äpfel, die nicht frisch und knackig sind, sondern mehlig und kein bisschen Säure haben. Und genau so ist es mit dem Evangelium. Wer es verwässert, macht es harmlos und langweilig.

Angesichts der riesigen Menschenmenge stieg Jesus in eines der Boote am Ufer, das dem Simon gehörte, und bat ihn, ein wenig vom Land wegzufahren. Ein gewisser Abstand, auch ohne Corona, half, dass alle ihn hören konnten, ohne sich vordrängeln zu müssen.

Und Petrus? Er beschwert sich nicht nach dem Motto, das ist doch mein Boot! Dieser Fremde hat in meinem Boot nichts zu suchen! Nein, vielmehr stellt Petrus sein Boot wie selbstverständlich Jesus zur Verfügung, weil es die aktuelle Situation gerade sinnvoll erleichtert.

Jesus kann auch unsere alltäglichen, unscheinbaren, kleinen Dinge gebrauchen. Es muss kein Kreuzfahrtschiff sein. Ein bescheidenes Fischerboot genügt ihm.

Als Jesus seine Rede beendet hat, legt Petrus sein Herz offen. „Meister, wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen.“ Petrus macht keinen Hehl aus seiner Frustration. Er traut sich, Schwäche zu zeigen. Er versteckt sein Scheitern nicht. Er spielt vor Jesus nicht den großen Mann.

Er gewährt Jesus einen Blick in sein Innerstes: Die ganze Nacht haben wir uns abgerackert. So viel Zeit, so viel Kraft haben wir investiert – und alles war für die Katz.

Aktuell könnte das so klingen: Vor einem Jahr haben wir alle Ersparnisse zusammengekratzt, einen Kredit aufgenommen und dieses Geschäft aufgebaut. Als es gerade anfing, ordentlich zu laufen, kam der Corona-Logdown und alles ging den Bach runter. Jetzt sind wir pleite.

Jesus erspart uns nicht die bitteren Erfahrungen des Scheiterns. Aber mitten im Scheitern ist er da und führt uns auf neue Wege. Auf Wege, auf die wir vielleicht nie gekommen wären.

Manche euphorischen Prediger verkündigen ja: Mit Jesus kommst Du immer höher, weiter, schneller…! Aber wenn wir den Weg Jesus betrachten, erkennen wir das Gegenteil: Sein Weg war ein radikal abwärts führender; quasi eine Anti-Karriere:

Vom Himmel auf die Erde, vom göttlichen Leben ins menschliche Leben, von der Herrlichkeit beim Vater ins irdische Leid, vom Herrschen zum Dienen, von der Vollmacht in die Ohnmacht.

Die Erfahrung des Scheiterns ist nicht nur sehr schmerzlich, sie ist auch heilsam. Martin Luther hat das in die eindrücklichen Worte gefasst: „Mit unsrer Macht ist nichts getan, wir sind gar bald verloren. Es streit für uns der rechte Mann, den Gott hat selbst erkoren. Weißt du, wer der ist? Er heißt Jesus Christ…“

Petrus hat im Scheitern nicht aufgegeben, sondern aufgehorcht. Er hat nicht den Kopf in den Sand gesteckt, sondern die Ohren aufgemacht. Er hat nicht mit letzter Kraft versucht, die Sache alleine wieder zum Laufen zu bringen. Er hat sie losgelassen, er hat zugelassen, dass Jesus die Regie übernimmt: „Auf dein Wort hin will ich die Netze auswerfen.“

Was für ein Akt des Vertrauens! Des Sich-Anvertrauens! Solch ein neues Vertrauenkönnen erwächst nicht selten aus der schmerzhaften Erfahrung der eigenen Grenzen.

Ich jedenfalls neige dazu, mich allein durchbeißen zu wollen und quäle mich oft sehr lange vergeblich, bevor ich bereit bin, zu kapitulieren und dem dreieinigen Gott die Regie zu überlassen.

„Auf dein Wort will ich die Netze auswerfen.“ Sobald Petrus das Ruder aus der Hand gibt, geschehen unglaubliche Dinge. Jesus beantwortet unser Nichts mit seiner Fülle! Sein Wort, seine Gegenwart, verändern alles!

Das ist nicht einfach nur wunderbar, das ist oft auch zutiefst erschütternd! „Ein Schrecken erfasste Petrus und alle, die mit ihm waren.“ Es geht ihnen durch Mark und Bein, was sie da erleben. Wenn Jesus seine Herrlichkeit offenbart, ist das wie ein Erdbeben. Unser Innerstes wird nach außen gestülpt: „Herr, geh weg von mir, ich bin ein sündiger Mensch!“

Was wir bislang allenfalls theoretisch wussten, erkennen wir plötzlich in seiner ganzen Abgründigkeit: „Ich bin ein sündiger Mensch“ – Jesus und ich, wir passen nicht zusammen. ER, der Sohn Gottes und ich, ein Sandkorn im Getriebe. ER, die Quelle des Lebens, und ich, nur ein Tropfen am Eimer. Petrus wird zutiefst erschüttert in seiner Selbsteinschätzung.

Doch was in dieser Stunde in ihm aufbricht, ist nicht nur bitter und schmerzlich; es ist die wunderbare Möglichkeit, Jesus Raum zu geben in der Tiefe seines Herzens.  Petrus hält Jesus sein erschrockenes, aufgewühltes Herz hin und empfängt die erlösenden Worte: „Fürchte dich nicht!“

Wenn Jesus die Abgründe unseres Herzens in unser Bewusstsein bringt, dann nicht, um uns anzuklagen, sondern um uns zu frei zu sprechen.  Ja mehr noch, um selbst einzuziehen in unser Dunkel. Er will die Abgründe unseres Herzens in eine Wohnung Gottes verwandeln.

„Fürchte dich nicht, von nun an wirst du mir helfen, Menschen für Gott zu gewinnen.“ Jesus zeigt den drei Fischern einen neuen Weg zum Leben. Er hat eine neue, erfüllende Aufgabe für sie.

Petrus, Jakobus und Johannes begreifen diesen wunderbaren Fischzug als das, was er ist – als Zeichen der Fülle, die Jesus denen schenkt, die sich ganz auf ihn einlassen, sich ihm überlassen.

Die drei Fischer kommen nicht auf die Idee, jetzt mit Jesus zu den erfolgreichsten Fischern von ganz Israel werden zu wollen nach dem Motto: Immer mehr, immer größer, immer reicher. „Sie brachten die Boote an Land, verließen alles und folgten Jesus nach.“

Sie gründen keinen Großbetrieb zur Fischverarbeitung. Sie bilden sich nichts ein auf ihren gigantischen Fischfang-Erfolg. Vielmehr lassen sie sich von Jesus ausbilden. Sie entscheiden sich für eine dreijährige praktische Lehre bei Jesus und werden so zu leidenschaftlichen Botschaftern des Evangeliums. Sie werden zu Menschen, die mit Paulus sagen können: „Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir.“ Amen.